Wildbienen und Bestäubung

Weibchen der Furchenbiene Halictus sexcinctus auf einer Margeriten-Blüte (Foto S. Kühne & C. Saure)

80 Prozent der Blütenpflanzen in Europa können sich nur fortpflanzen, wenn sie von Insekten bestäubt werden. Diese Pflanzen sind als Nahrungsquelle wiederum die Voraussetzung für das Überleben zahlreicher Tierarten. Somit haben die Bestäuber, zu denen neben den Insekten auch Vögel und Säugetiere gehören, eine Schlüsselfunktion bei der Entstehung und dem Erhalt der Artenvielfalt. Die mit Abstand wichtigsten Bestäuber sind die Bienen.

Die Bestäubungsleistung der Bienen hat sowohl eine enorme ökologische (Erhalt der biologischen Vielfalt) als auch eine ökonomische Bedeutung, denn Wild- und Honigbienen sind auch die wichtigsten Bestäuber der Kulturpflanzen. Weltweit werden 87 der insgesamt 124 wichtigsten Feldfrüchte von Bienen und anderen Insekten bestäubt. Die tierische Bestäubung unterstützt den Fruchtansatz, erhöht die Anzahl der Samen und verbessert Form und Größe der Früchte (Klein et al. 2007, Breeze et al. 2011, Garibaldi et al. 2013). Von der Bestäubungsleistung profitieren z. B. Raps, Sonnenblumen, Ackerbohnen und andere Hülsenfrüchte. Besonders relevant ist die Bestäubung durch Bienen für Obstkulturen wie Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen. Weltweit wird der wirtschaftliche Wert der Bestäubung in der Landwirtschaft auf 153 Milliarden Euro geschätzt (Gallai et al. 2009).

Mehrere Studien konnten zeigen, dass die Honigbiene bisher offensichtlich als Bestäuberinsekt überschätzt wurde. Beispielsweise lässt sich trotz vorhandener Honigbienen der Fruchtansatz in Kulturen erhöhen, wenn zusätzlich Wildbienen vorhanden sind (vgl. Garibaldi et al. 2011, Holzschuh et al. 2012, Bartomeus 2013). Die Bestäubungsleistung korreliert mit dem Artenreichtum der Bestäubergemeinschaft, d. h. der entscheidende Faktor ist nicht die Anzahl der Bienenindividuen auf einer Anbaufläche, sondern die Vielfalt der Bienenarten (vgl. Klein et al. 2003, Greenleaf & Kremmen 2006, Ricketts et al. 2008).

In einer Phase, in der die Imkerei aus verschiedenen Gründen im Rückgang begriffen ist, kommt den Wildbienen auch in Agrarökosystemen eine Schlüsselrolle zu. Der überragenden Bedeutung der Wildbienen als Bestäuber steht aber ihr kontinuierlicher Individuen- und Artenrückgang in den vergangenen Jahrzehnten gegenüber (Biesmeijer et al. 2006, Potts et al. 2010). In der intensiven Landwirtschaft fehlt es zunehmend an geeigneten Nistplätzen und Nahrungsressourcen, die ein kontinuierliches Pollen- und Nektarangebot von Frühjahr bis Spätsommer bereitstellen.

Dabei sind Wildbienen als Bestäuber unersetzlich. Spezialisierte Arten sind in der Lage, kompliziert gebaute Blüten wie diejenigen der Luzerne zu bestäuben, welche von Honigbienen selten besucht werden. Die ursprünglich nur in Europa und Teilen Asiens vorkommende Luzerne-Blattschneiderbiene Megachile rotundata gelangte ca. 1935 nach Nordamerika und breitete sich dort stark aus. Die Art wird heutzutage in den USA und in anderen Ländern großflächig zur Bestäubung auf Luzernefeldern eingesetzt (Dorn & Weber 1988, Westrich 1989).

Andere Kulturpflanzen werden zwar auch von der Honigbiene bestäubt, verschiedene Wildbienenarten sind dabei aber viel effektiver. Zur Bestäubung von Apfelblüten werden z. B. deutlich weniger Individuen der Gehörnten Mauerbiene Osmia cornuta als Arbeiterinnen der Honigbiene benötigt (Vicens & Bosch 2000a). Auch Süßkirschen werden von Wildbienen besser bestäubt (Holzschuh et al. 2012).

Einige Wildbienenarten sind weniger temperaturempfindlich als die Honigbiene und können auch in Schlechtwetterperioden bestäuben. Dazu gehören neben verschiedenen Hummeln und Sandbienen auch die Mauerbienen Osmia bicornis und Osmia cornuta (Vicens & Bosch 2000b, Schindler & Peters 2011). Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Bestäubung der heimischen Kulturpflanzen nur mit der Kombination aus arten- und individuenreichen Wildbienengemeinschaften und vitalen Honigbienenbeständen zu gewährleisten ist (vgl. Aebi et al. 2012).